Ein Kommentar zur Heinsberg-Studie

Deko-Bild für Beitrag "Professionelle Kommunikation zur Heinsberg-Studie", im Vordergrund ein stapel Bücher, darauf eine Hand, im Hintergrund medizinische Geräte
Published On: 20. April 2020By

In der aktuellen Diskussion um die Heinsberg-Studie wird, unter anderem im Magazin Pressesprecher, behauptet, es sei „ungewöhnlich genug“, dass „PR-Profis die Verbreitung einer wissenschaftlichen Studie übernehmen“.

Tatsächlich finde ich es nicht ungewöhnlich, sondern wünschenswert, wenn nicht sogar zwingend notwendig, dass die Ergebnisse einer von vielen erwarteten Studie am Hotspot der deutschen Corona-Epidemie von „Profis“ kommuniziert werden. Dabei spielt es eine zweitrangige Rolle, ob die nun in Pressestellen oder einer Agentur arbeiten. Die Frage ist vielmehr, was in diesem Fall professionell gewesen wäre. Alte Vorurteile gegenüber „PR-Profis“ hervorzuholen, hilft hier für eine Antwort nicht weiter. Sie lenken nur davon ab, was im Falle der Heinsberg-Studie tatsächlich schiefgelaufen ist.

Wenn sich einige darüber wundern, dass eine Agentur hinzugezogen wurde, steht dahinter eigentlich die Frage, ob Wissenschaft PR macht, bzw. machen darf. Konkreter gesagt: ob sie interessensgeleitet kommuniziert und wenn ja, welche Interessen dabei für eine Einrichtung der öffentlich geförderten Wissenschaft vertretbar sind.

Wissenschaftskommunikation ist interessensgeleitet

Dazu gleich eine Antwort: Jede Institution, die Wissenschaft kommuniziert, verfolgt damit das Ziel, das zugleich ihr Auftrag ist: die Ergebnisse ihrer Arbeit in die Gesellschaft zu transferieren. Daneben spielen aber auch eigen-institutionelle Interessen eine Rolle bei der Kommunikation:

  • die eigenen Forschungsleistungen herauszustellen
  • sich bei Geldgebern zu positionieren
  • sich im Wettbewerb gegen andere Institutionen zu behaupten
  • sich für Wissenschaftler*innen als Arbeitgeber interessant zu machen
  • Belege für die Arbeit zu liefern
  • etc.

Das sind durchaus legitime Interessen, sie sollten aber auch offengelegt werden. Dafür ist unter anderem wichtig, dass in der Kommunikation der Absender genannt ist und deutlich wird, wer spricht. Im besten Fall gibt es Wissenschaftsjournalist*innen, die diese Interessen gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit einordnen und darauf hinweisen können. Oder die Informationen treffen über Social Media oder andere Kanäle der direkten Kommunikation auf ein aufgeklärtes Publikum, dem diese Hintergründe bewusst sind.

Transparente und seriöse Kommunikation als Voraussetzung

Unter diesen Voraussetzungen ist es eigentlich nicht mehr relevant, ob die Kommunikation einer wissenschaftlichen Studie durch eine PR-Agentur unterstützt wird oder nicht. Solange die Agentur die Ziele der Einrichtung kennt und zum Maßstab ihrer Arbeit macht, unterstützt sie ihren Auftraggeber bei einer Aufgabe, zu der die wissenschaftlichen Einrichtungen im Sinne des Transfers von Wissenschaft in die Gesellschaft verpflichtet sind. Dazu gehört eben immer auch die Information einer breiteren Öffentlichkeit und von Interessensgruppen über Methoden und Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit. So lange eine Agentur das Gebot der Transparenz teilt und vermeidet, was zur Desinformation führen könnte (Skandalisierung, Übertreibung, unvollständige Information oder das Wecken unangemessener Erwartungen), solange sie also seriös kommuniziert, ist es eher eine Frage der Verteilung von Ressourcen, ob sie zur Unterstützung hinzugezogen wird oder nicht.

Gerade dann, wenn auf der Seite der Wissenschaft das Know-how über die Kommunikation „der anderen Seite“, also Medien oder die Social-Media-Öffentlichkeit, fehlt, kann die Beratung von extern zudem sogar schützen. Wenn sie nämlich Wissenschaftler*innen darauf aufmerksam macht, wann diese Gefahr laufen könnten, für die Interessen anderer instrumentalisiert zu werden. Das kann die aufsehenerregende Story im Boulevard-Magazin sein oder die Vereinnahmung für politische oder andere Interessen.

Es liegt mit all diesen Anforderungen schon auf der Hand, dass die Dienstleister*innen die Werte guter Wissenschaftskommunikation nicht nur kennen, sondern sie auch teilen und in der Lage sein sollten, sie umzusetzen. Es gibt im Normalfall Ausschreibungen, in denen Agenturen genau dafür die notwendigen Nachweise erbringen zu haben, und das zu Recht.

Externe Interessen

Das alles war im Falle der Heinsberg-Studie nicht der Fall. Im Profil des Twitter-Accounts heißt es, die Studie werde „dokumentiert“ durch die Agentur, die sich als neutraler Beobachter gibt. In der Tat ist es aber ungewöhnlich, dass hier ein externer Dienstleister zum Herausgeber von wissenschaftlichen Informationen wird – und dabei auch noch „journalistische Herangehensweisen“ für sich beansprucht (das zitiert der Branchendienst Media). Die Verantwortlichen verrieten zunächst nicht, wer sie beauftragt hatte – ein grober Verstoß gegen die Transparenz. Erst auf Nachfragen wurde klar, dass zwei Unternehmen aus der freien Wirtschaft einen Teil des ungewöhnlichen Aufwands gezahlt hatten und dass ein weiterer Teil laut Aussagen der Agentur als Eigenleistung investiert worden ist. Die Unternehmen waren an der Finanzierung der Studie nicht beteiligt gewesen, sondern von der Agentur als Förderer angesprochen worden. Schon hier wird deutlich, dass das eigentliche Interesse der Studiengruppe durchmischt worden ist mit mindestens zwei weiteren Anliegen: denen von Wirtschaftsunternehmen und denen einer Agentur. Über die Hintergründe dieser Interessen kann nur spekuliert werden.

Veröffentlichung unter Zeitdruck

Die Heinsberg-Studie ist auch deshalb ein Sonderfall, weil sie angesichts der Corona-Krise und dem dadurch intensiven und ungewöhnlich hohen Interesse von einem immensen Zeitdruck getrieben worden ist. Die Ergebnisse wurden veröffentlicht, noch bevor die Methodik und detaillierte Herangehensweise der Studie zur Einordnung zur Verfügung standen. Wissenschaftliche Kollegen wie Christian Drosten konnten die Studie auf dieser dürftigen Informationslage nicht beurteilen. Die Politik war dagegen schnell zur Stelle.

Unguter Beigeschmack

Wären die Wissenschaftler*innen hier professionell und im Interesse der Wissenschaft und ihrer Institution beraten worden, so hätte man sie davon abgehalten, die Ergebnisse vorab und ohne diese wesentlichen Hintergrundinformationen zu verkünden. Diese Eile konnte man nur im Zusammenhang mit den politischen Entscheidungen sehen, die über Ostern auf der Agenda standen. Genau das war dann auch der Beigeschmack, der die Bekanntgabe der Ergebnisse prägte und der den Wissenschaftler*innen und der Diskussion über die eigentlichen Inhalte der Untersuchung geschadet hat.

Bleibt die Erkenntnis, dass im Fall der Heinsberg-Studie eine professionelle Begleitung für die Autor*innen und auch für die breite Öffentlichkeit nur zu hilfreich gewesen wäre – egal, ob durch eine Agentur oder Pressestelle.

Zum Hintergrund:

Eine Rekonstruktion zur Veröffentlichung der Studienergebnisse von „Riffreporter“ Christian Schwägerl und Joachim: „Coronakrise: Wie ein Wissenschaftler zum Kronzeugen für einen raschen Exit wurde.“ aktualisierte Fassung vom 18.4.2020

“Heinsberg Protokoll”: Zum ersten Mal spricht Philipp Jessen über ein Storymachine-Projekt‚, in Meedia, 9.4.2020

„Keine Wissenschaft, keine PR, sondern Propaganda“, von Katrina Geske, Magazin „Pressesprecher“, 15.4.2020

Corona: PR-Kontrollorgan untersucht Heinsberg-Studie, FAZ, von Gustav Theile, 17.4.2020

„Heinsberg-Protokoll – ein Mahnmal missglückter Wissenschaftsvermittlung“, Gastkommentar in Meedia, von Jens Rehländer, 16.4.2020