10 Learnings: Wissenschaft meets Politik

Published On: 22. März 2024By

Wie erreichen wir mit wissenschaftlichen Themen „die Politik“? Diese Frage haben wir auf dem letzten Stammtisch Wissenschaftskommunikation mit den Expertinnen Marie Heidenreich und Carline Mohr diskutiert. Hier kommen zehn Learnings, die wir von dem Austausch mitgenommen haben.

Ein parlamentarisches Frühstück für Mitglieder*innen des Bundestags beginnt schon um sieben Uhr morgens, auch in der politischen Kommunikation darf und soll es menscheln, und wenn Wissenschaftler*innen sich sehr kurzhalten müssen, ist auch schon mal eine Generalprobe angesagt: Marie Heidenreich und Carline Mohr haben beim letzten Stammtisch Wissenschaftskommunikation immer wieder für Aha-Erlebnisse gesorgt. Sie waren Gästinnen bei unserem Stammtisch für Wissenschaftskommunikation.

Die beiden Expertinnen beleuchteten aus unterschiedlichen Blickwinkeln das Zusammenspiel von Kommunikation und Politik: Marie Heidenreich ist Leiterin der SynCom im Helmholtz Forschungsbereich Erde & Umwelt und organisiert dabei regelmäßig Veranstaltungen mit politischen Stakeholdern. Carline Mohr leitete den Newsroom der SPD-Parteizentrale im vergangenen Bundestagswahlkampf und berät heute als freie Digitalstrategin.

10 Learnings zum Thema „Wissenschaft meets Politik – Entscheider*innen erfolgreich adressieren

1. Definiert eure Zielgruppen klar!
Die breite Öffentlichkeit ist keine Zielgruppe! Um Menschen mit den eigenen Inhalten zu erreichen und zu überzeugen(!) müssen Kommunikator*innen ihre Adressat*innen klar definieren. Auch „die Politik“ ist eine heterogene Gruppe, bei der Kommunikator*innen unterschiedliche Bedürfnisse und Einstellungen bedenken müssen. In der Helmholtz-Gemeinschaft spreche man von „Interaktionsgruppen“ statt von „Zielgruppen“, um den dialogischen Ansatz zu verdeutlichen, betonte Marie Heidenreich. Carline Mohr plädierte dafür, den Menschen, die man erreichen möchte, erst einmal zuzuhören und Bedürfnisse ernst zu nehmen.

2. Setzt kleine strategische Zwischenziele!
Neben einer klar definierten Zielgruppe hilft es Kommunikator*innen, kleine strategische Zwischenziele zu setzen. Sie erleichtern es, Kommunikationsmaßnahmen gezielt auszuwählen und zwischen unterschiedlichen Kanälen abzuwägen. Für eine Veranstaltung im Bundestag ist es beispielsweise schon mal ein gutes Ziel, zunächst eine Schirmherrin oder einen Schirmherren zu gewinnen, denn ohne eine solche Person kann eine Veranstaltung dort gar nicht stattfinden. Ein Zwischenziel für eine politische Kampagne könne sein, eine eigene Community in einem Kanal wie Telegram aufzubauen, berichtete Carline Mohr von ihren Erfahrungen. Diese Community könne auf viel persönlicherer Ebene angesprochen werden und so zu einem höheren Engagement animieren – ein weiteres Zwischenziel wäre erreicht.

3. Mischt euch in den (Social) Dialog ein!
Carline Mohr hat es in ihrem Bericht über den SPD Online-Wahlkampf deutlich gemacht: Informationen lediglich auf den eigenen Kanälen zu senden, ist nicht mehr ausreichend, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Erst recht nicht, wenn man neue Zielgruppen erschließen möchte. Sie plädiert dafür, sich in den (Online-) Dialog direkt einzumischen. Folgende Fragen sollten Kommunikator*innen beantworten: Wo und wie wird gerade zu meinen Themen diskutiert? Welches Bedürfnis steht hinter der Diskussion? Welche Rolle kann ich als Expert*in im Diskurs übernehmen? Natürlich kann nicht jede Kommunikationskampagne auf einen Kanzlerkandidaten zurückgreifen. Aber auch kommunikationsstarke Wissenschaftsexpert*innen bereichern Dialoge, können inhaltlich überzeugen und sich zugleich öffentlich als Expert*innen positionieren.

4. Macht es persönlich!
Nichts ist langweiliger als eine bloße Aneinanderreihung von Fakten, selbst wenn sie eigentlich interessante oder wichtige Informationen enthalten. Verknüpfen Kommunikator*innen diese jedoch mit einem persönlichen Bezug, einem emotionalen Kern, dann bleiben auch wissenschaftliche Informationen bei Nicht-Wissenschaftler*innen und Politiker*innen hängen. Klar ist auch: Nicht alle Wissenschaftsthemen eignen sich für spannende Geschichten. Dennoch können sie Barrieren abbauen und Menschen für Wissenschaftsthemen begeistern, die sonst nur schwer zu erreichen wären.

5. “Listen to the science” ist keine Einbahnstraße.
Marie Heidenreich machte deutlich, dass Wissenschaft nicht darauf warten kann, dass Politik ihr einfach zuhöre. Auch Wissenschaftskommunikator*innen müssten sich fragen, welche Bedürfnisse auf Seiten der Politik existierten und wie die eigene Forschung diese Bedürfnisse aufgreifen könne. Nur dann stoße Wissenschaft auf offene Ohren. Oft heiße es: Politiker*innen suchten in der Wissenschaft nur Belege für die eigenen Themen. Das sei ja erst mal ein Ausgangspunkt, um daran anknüpfend eigene Themen zu setzen. Die Bedürfnisse der Politik zu hören, müsse aber nicht bedeuten, sich von ihr vereinnahmen zu lassen! Auch Carline Mohr macht sich stark für Interaktion „auf Augenhöhe“: Wer mit einer Zielgruppe in Kontakt kommen wolle, sollte dort hinhören, wo sie sich über ihre Themen unterhielten – zum Beispiel auch in Facebook-Gruppen.

6. Findet klare Kernbotschaften!
Wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich selten in eine zentrale Kernbotschaft pressen. In Interviewsituationen und nichtfachlichen Publikationen haben Kommunikator*innen jedoch meist nur wenige Sätze zur Verfügung. Auch bei parlamentarischen Frühstücken ist zu wenig Zeit für einen ausgiebigen Austausch, erklärte Marie Heidenreich. Daher ist es hilfreich, eine gut verständliche Hauptbotschaft in wenigen Sätzen zu formulieren. Dazu gehören auch klare Handlungsaufforderungen. Fachbegriffe und wissenschaftliche Abkürzungen sollten Kommunikator*innen bestenfalls vermeiden und auch darauf achten, dass das allgemeine Sprachverständnis vom fachlichen Sprachgebrauch abweichen kann. Ganz im Sinne einer „one-voice-policy“ empfiehlt Marie Heidenreich, dass sich größere Teams gemeinsam auf wenige Hauptbotschaften einigen.

7. Gute Vorbereitung ist alles!
Bei einem parlamentarischen Frühstück haben Wissenschaftler*innen nur jeweils einige Minuten, um ihre Inhalte vorzustellen. Damit die gut sitzen, empfiehlt Marie Heidenreich mindestens eine Generalprobe. Guter Tipp: Unterschiedliche Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Fachgebieten geben sich gegenseitig Feedback – das sei manchmal besser zu akzeptieren als aus der Kommunikationsabteilung. Zur guten Vorbereitung gehöre auch, die Wissenschaftler*innen daran zu erinnern, ihren Personalausweis mitzubringen – denn sonst scheitere man bereits am Eingang des Bundestags, betonte Marie Heidenreich.

8. Speaker*innen vor Lobby-Einfluss schützen.
Wissenschaftler*innen, die direkt mit Politiker*innen kommunizieren, müssen geschützt werden. Marie Heidenreich warnt davor, dass Lobbyist*innen versuchen könnten, sie für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Sie empfiehlt daher, die Namen der teilnehmenden Wissenschaftler*innen erst nach parlamentarischen Veranstaltungen zu veröffentlichen.

9. Bleibt dran!
Persönliche Kontakte, beispielsweise bei einem parlamentarischen Frühstück geknüpft, müssen gepflegt werden. Marie Heidenreich empfiehlt zur Nachbereitung von politischen Veranstaltungen, Dankesmails zu schreiben, in denen Kernbotschaften noch einmal wiederholt und Kontaktdaten mitgeliefert werden. Aber auch Handouts mit den Inhalten des Themas und den Kontaktinformationen der Wissenschaftler*innen am Ende einer Veranstaltung helfen dabei, im Gedächtnis zu bleiben. Gleichzeitig empfiehlt sie allen Sprecher*innen, den persönlichen Kontakt zu Parlamentarier*innen zu nutzen und diese nach Veranstaltungen zum weiteren Austausch einzuladen.

10. Qualitativ statt quantitativ
Auch in großen politischen Kampagnen sollte am Ende eher die Überzeugung mit Inhalten stehen als das Zählen einzelner Likes und Kommentare. Denn da waren sich beide Expertinnen einig: Die Wirkung von politischen Kampagnen quantitativ zu evaluieren, ist schwierig. Deshalb hat Carline Mohr ihre Strategie regelmäßig thematisch festgemacht und eher darauf geachtet, die jeweils wichtigen Akteure zu erreichen. Auch Marie Heidenreich betonte, dass die Zahl von Besucher*innen eines parlamentarischen Abends weniger wichtig sei als die Qualität der Beziehung, die man dabei aufbaue.

Fazit:
Formate strategisch planen, bei der Konzeption auch mal um die Ecke denken und möglichst viel im Vorfeld über die eigenen Zielgruppen erfahren – das sind zentrale Tipps für die Organisation politischer Kommunikation beider Expertinnen. Sich austauschen hilft, um für stark reglementierte Formate wie parlamentarische Frühstücke alles richtig zu machen – umso besser, dass Marie Heidenreich beim Stammtisch ein paar Hinweise geben konnte. Denn ein Standardbuch oder einen Text, wie man alles richtig macht, müsste noch geschrieben werden.

Regelmäßiger Stammtisch

Interessierte für den Stammtisch Wissenschaftskommunikation, den wir regelmäßig als meist digitale Veranstaltung anbieten, können sich unter stammtisch@mann-beisst-hund.de in den Verteiler aufnehmen lassen.