Strategisch Hass und Hetze im Netz begegnen

Textbild, Schriftzug Hate (englisch) mit pinkem Farbverlauf
Published On: 13. Dezember 2021By

Ein Blick in die sozialen Netzwerke zeigt: Der Ton zwischenmenschlicher Interaktion wird rauer. Wie gelingt eine gute Krisenkommunikation auf Social Media?

Gemeinsam mit Juliane Chakrabarti von der Initiative #ichbinhier haben wir uns in einer Weiterbildung mit dem Thema „Kritik und Hass im Netz“ auseinandergesetzt. Das sind unsere Learnings für gute Krisenkommunikation im Netz:

Vom Hasskommentar zum Shitstorm

Destruktive Kritik, Hass und Hetze in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke werden eigentlich nur von einer kleinen Zahl an User*innen produziert. Diesen Content verbreiten organisierte Schwärme Gleichgesinnter – die Wahrnehmbarkeit der Hassbotschaften steigt in kürzester Zeit um ein Vielfaches. Nicht selten bestehen diese Schwärme aus bezahlten Nutzer*innen oder sogenannten Bots. Laut Chakrabarti sind nur etwa fünf Prozent der Nutzer*innen für die Hälfte aller Hasskommentare verantwortlich.

„Stimmungsmache im Netz ist kein qualitatives, sondern ein quantitatives Phänomen.“ (Juliane Chakrabarti, #ichbinhier)

Natürlich spielt auch der Algorithmus eine Rolle: Beiträge mit besonders hoher Interaktion (liken, kommentieren, teilen) gelten als bedeutungsvoller Content.

Das 4×4 der Deeskalation

Ist der Shitstorm erst entfacht, empfiehlt Juliane Chakrabarti das „4×4 der Deeskalation“:

  1. Moderation: My castle. My rules.
    Die Kanalverantwortlichen bestimmen Regeln, Ton und Konsequenzen – eine aktive Moderation leitet den Diskurs bereits am Anfang in eine bestimmte Richtung. Wichtig ist eine schnelle und gezielte Reaktion der Moderator*innen. Eine explizite Netiquette hilft, positives Verhalten zu fördern (zum Beispiel durch Likes) und negatives zu sanktionieren (verwarnen, ausblenden, löschen oder blockieren).
  2. Gegenrede: von der Defensive in die Offensive
    Die Reaktion auf Hasskommentare oder Fake News sollte stets respektvoll, sachlich und faktenorientiert sein. Empathie und Verständnis für Wut und Frustration zu zeigen ist ebenso wichtig wie der Fokus auf das Wesentliche.
  3. Unterstützung: eigene Netzwerke nutzen
    Eskaliert ein Shitstorm, sind Betroffene auf die Unterstützung ihrer Mitstreiter*innen angewiesen. Um schnell zu reagieren, ist ein bestehendes Unterstützer*innen-Netzwerk hilfreich. Die Kommunikation untereinander läuft über eigene Chat-Gruppen. Liken oder kommentieren Admins oder Moderator*innen die Unterstützer*innen-Kommentare, erhöht das die Reichweite und Sichtbarkeit.
  4. Strafverfolgung: wenn nichts mehr geht
    Greifen diese Lösungsvorschläge nicht, werden Hassreden direkt bei der jeweiligen Plattform oder beim Bundesamt für Justiz gemeldet. Je nach Schweregrad leiten die Verantwortlichen zivilrechtliche Schritte ein und erstatten Strafanzeige. Organisationen wie Hate Aid beraten in diesen Fällen.

Moderation von Shitstorms als Kostenfaktor

Bei Mann beißt Hund betreuen wir nicht nur unsere eigenen Kanäle, sondern ebenso Social-Media-Accounts unserer Kund*innen. Zu unseren Aufgaben zählt neben der Content-Produktion häufig auch aktives Community-Management. Die Moderation von Shitstorms kostet uns Zeit und belastet das Budget unserer Kund*innen.

Sind die Kapazitäten für einen sachlichen Diskurs erschöpft, empfiehlt Juliane Chakrabarti, Nutzer*innen zu blockieren und grenzwertige Kommentare zu löschen. „Beiträge und Kommentare in den sozialen Netzwerken sind quasi unsere „Online-Visitenkarten“, betont sie und verweist auf die eigene Netiquette. Screenshots von Hasskommentaren in eigenen Beiträgen zu reproduzieren, ist übrigens nicht empfehlenswert.

Wer an Online-Debatten teilnimmt

Für gute Krisenkommunikation in Online-Debatten sollten Moderator*innen mit den wesentlichen Akteur*innen vertraut sein. Chakrabarti unterscheidet sechs Typologien:

  • Stille Mitleser*innen
    Sie verfolgen hitzige Online-Debatten, anhand derer sie ihre Meinung bilden und diese dann in die eigenen Netzwerke tragen, was sie zu potenziell solidarischen Mitstreiter*innen macht.
  • Frustrierte User*innen
    Mit Empathie und Fingerspitzengefühl gestellte Fragen und ein respektvoller Dialog befreien sie aus ihrer Starre der Angst, Wut oder Sorge.
  • Trolle
    Sie fallen durch Provokation auf und sind nicht selten programmierte Bots, die rechtzeitig als solche entlarvt und ggf. blockiert werden sollten.
  • Infokrieger*innen
    Häufig verbreiten sie skrupellos Fake News und missionieren mit Verschwörungstheorien, weshalb man auf faktenbasierte und fokussierte Kommunikation achten sollte.
  • Politisch motivierte Gruppierungen
    Sie stehen hinter organisierten Shitstorms, Abwertungen oder Drohungen, daher sollten betroffene User*innen in diesen Fällen ihren Unterstützer*innen-Kreis aktivieren.
  • Extremist*innen
    Sie drohen ihren Opfern und rufen zu Gewalt auf – Betroffene sollten in diesem Fall strafrechtlich Relevantes melden und Drohungen anzeigen.

Strategien der Moderation – angemessen auf Shitstorms reagieren

Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen stellen auf ihren Kanälen verschiedene Moderationsstrategien und -methoden vor. Abhängig von der Situation stärken oder entmachten die Moderator*innen damit die Nutzer*innen. Welche Strategien und Methoden schließlich zum Einsatz kommen, hängt von vielen Faktoren ab (zum Beispiel den personellen und zeitlichen Ressourcen).

  • Entmachten (Dis-Empowerment):
    Moderator*innen wenden diese Strategie in der aktiven Gegenrede, der gezielten „Bestrafung“ sowie bei der Dekonstruktion an, wenn genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. Ist das nicht der Fall, empfiehlt Chakrabarti, Kommentare und/oder Nutzer*innen auszublenden, zu verbergen, zu löschen oder zu blockieren und zu ignorieren. Damit das nicht zum nächsten Shitstorm führt, sollten Moderator*innen stets auf die Netiquette verweisen. Wirklich nachhaltig ist nur das Blockieren.
  • Stärken (Empowerment):
    Auch hier hängt die Strategie von den gegebenen Ressourcen ab. Moderator*innen können in einen vermittelnden Dialog treten, Nutzer*innen motivieren und ihnen gegenüber Verständnis zeigen. Ironie und Humor sind ebenso effektiv und deutlich weniger aufwendig.

ACHTUNG: Mit welcher „Seite“ man bei den jeweiligen Themen am Ende assoziiert werden möchte, sollte vorher klar sein. Im Agenturkontext sowie in der Betreuung unserer Kund*innenkanäle stimmen wir daher immer zu Beginn einen Leitfaden mit unseren Kund*innen ab. So können wir im Team schnell und strategisch auf kritische Kommentare reagieren.