Schreiben fürs Netz: vor allem verständlich

weiß, hellgraue Buchstabend auf dumkelm Grund, zur Bebilderung des Artikels: Automatische Transkription"
Published On: 13. Dezember 2017By

Beim letzten Stammtisch Wissenschaftskommunikation habe ich als eine von zwei Referentinnen – die andere war die Journalistin, Autorin und Dozentin Nea Matzen –  über das erzählt, was den größten Teil meines Arbeitsalltags als Redakteurin bei Mann beißt Hund ausmacht: Onlinetexte schreiben.

Kompliziertes einfach sagen

In meinem Job geht es fast immer darum, komplizierte Sachverhalte in einfache, ansprechende Texte zu „gießen“. Ich schreibe viel über Studien, mal über Medizinisches, manchmal wird es sehr technisch, und pädagogische Themen habe ich auch häufig auf dem Schreibtisch. Wenn ich nicht selbst schreibe, redigiere ich Texte anderer. Die Autor*innen sind sehr fachkundige Personen auf ihrem jeweiligen Gebiet, aber nicht unbedingt erfahren darin, für ein breites Publikum zu schreiben. Und das bringt mich direkt zu meinem zentralen Thema beim letzten Stammtisch: Verständlichkeit. Natürlich ist Verständlichkeit nicht nur online wichtig, sondern für jede Art von Texten. Aber im Netz sind die Leser*innen noch einmal unbarmherziger: Was nicht sofort ins Auge springt, bleibt meist ungelesen. Praktisch niemand erarbeitet einen komplizierten Onlinetext von A bis Z – eine Website, die den gleichen Inhalt lesbarer vermittelt, ist garantiert nur ein paar Klicks entfernt.

Verständlichkeit ist kein Nice-to-Have, sondern eine gesellschaftliche Frage

Im Lauf der Jahre bin ich zu einer echten Kämpferin für verständliche Texte geworden, egal ob online oder gedruckt. Das hat auch einen gesellschaftlichen Aspekt: Unnötig komplizierte Texte schließen Menschen aus – im schlimmsten Fall mit Absicht, im besten Fall aus Unachtsamkeit oder Unwissen. Außerdem habe ich selbst keine Lust, verschwurbelte, gestelzte Texte zu lesen, deren Autor*innen sich offenbar wenig Gedanken über ihre Rolle als „Vermittler“ gemacht haben.

So gut können Erwachsene in Deutschland lesen

Wer es für weit hergeholt hält, dass schwierige Texte Menschen ausschließen, sollte einmal die Ergebnisse der PIAAC-Studie der OECD lesen. 2012 testete die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit unter anderem die Lesekompetenz Erwachsener in mehreren Ländern. Das Ergebnis für Deutschland: 17,5 Prozent der Erwachsenen in Deutschland erreichen maximal die niedrigste Lesekompetenzstufe. Das heiß in etwa, dass sie auf Nachfrage eine einfache, konkrete Information in einem kurzen Text finden können – sofern die Frage genauso formuliert ist, wie die gesuchte Textstelle. Gerade einmal 10,7 Prozent erreichen die beiden höchsten Lesekompetenzstufen. Das sind nicht einmal alle Personen mit akademischem Abschluss in Deutschland.

Einfach und praxisnah: das Hamburger Verständlichkeitsmodell

Um die Verständlichkeit also immer im Blick zu halten, orientiere ich mich beim Schreiben am „Hamburger Verständlichkeitsmodell“. Das unter anderem von Friedemann Schulz von Thun entwickelte Konzept hat gleich drei entscheidende Vorteile: Es eignet sich für Gebrauchstexte aller Art, es ist empirisch belegt und es ist sehr anwendungsorientiert. Seine Grundlage sind vier Dimensionen von Texten:

  • Einfachheit: Dazu gehören zum Beispiel kurze, unverschachtelte Sätze und der Verzicht auf Fremdwörter (wenn das nicht möglich ist: erklären). Floskeln und Füllwörter tragen ebenfalls nicht zur Verständlichkeit bei. Verben sind leichter verständlich als Nomen. Abstrakte Wörter, die kein Bild im Kopf erzeugen, sollten außerdem nicht vorkommen – das sind zum Beispiel durchführen, erfolgen, Verfahren, Vorgang usw. Und auch auf Passivkonstruktionen sollten Autor*innen verzichten.
  • Gliederung/Ordnung: Diese Dimension lässt sich auf zwei Tipps herunterbrechen: 1. Das Wichtigste zuerst sagen. 2. Vor dem Schreiben einen roten Faden entwickeln. Online außerdem besonders wichtig: Eine klare äußere Gliederung mit Zwischenüberschriften und am besten noch ein paar Bulletpoints oder Aufzählungen.
  • Kürze/Prägnanz: Zwei Fragen sollten den kritischen Blick auf eigene Texte leiten. 1. Ist jedes Wort nötig? Und 2. Ist alles Nötige gesagt? Mein Tipp: Vor dem Prüfen den Text ein paar Stunden oder noch besser über Nacht liegen lassen.
  • Anregende Zusätze: Auch einfache Texte können durchaus langweilig sein, und das wiederum schadet der Verständlichkeit. Abhilfe schaffen Geschichten, Bilder, handelnde Personen. Schließlich sind Texte für Menschen gemacht, und Menschen reagieren nun einmal aufmerksamer auf andere Menschen als auf unpersönliche „Sachverhalte“.

„Keep it simple“: Verständlichkeitsstudie von Mann beißt Hund

Bereits 2005 hat Mann beißt Hund übrigens einmal Pressemitteilungen nach dem Hamburger Verständlichkeitsmodell analysiert. Die Texte aus den Bereichen Kultur, Wirtschaft und Politik entstammten dem Presseportal der dpa. Nur zwei der 120 Pressemitteilungen (2,4%) erreichten alle vier Merkmale der Verständlichkeit. Insgesamt schnitten die Presseinformationen der Kultur am besten und die aus dem Bereich Wirtschaft am schlechtesten ab. Die Hälfte aller Pressemitteilungen aus dem Bereich Wirtschaft erfüllte kein einziges Kriterium des Hamburger Verständlichkeitsmodells.

Verständlichkeit kann Schmerzen bereiten

Verständlichkeit ist also wichtig und relativ einfach herzustellen. Warum haben wir also trotzdem mit so vielen schwer verständlichen Texten zu tun? Ich habe schon so viel um Satzteile und Wörter gefeilscht, dass ich mittlerweile ganz gut verstehe, warum es manche Menschen trotz allem lieber kompliziert haben. Verständlichkeit kostet sie starke Überwindung, manchmal bis an die Schmerzgrenze. Die häufigsten Argumente:

  • Meine Arbeit ist sehr komplex und anspruchsvoll. Wenn ich so einfach darüber schreibe, könnte mich jemand für simpel halten.
  • Es ist in meiner Branche nicht üblich, sich so einfach auszudrücken.
  • Meine Themen sind so komplex, dass man sie nicht einfach beschreiben kann.
  • Ich halte das für unnötig. Die Leserschaft ist gebildet genug.

Für Verständlichkeit einsetzen

Wenn meine Gesprächspartner diese Gründe anführen, habe ich verschiedene Erwiderungen parat. Nicht immer komme ich damit durch, aber häufig lassen sich Auftraggeber*innen überzeugen, wenigstens an einigen Stellen verständlicheren Sätzen zuzustimmen. Und beim nächsten Textprojekt sind wir uns dann meistens schneller einig. Ich sage zum Beispiel,

  • dass unsere Kunden in der Regel sehr positives Feedback zu ihren Textprodukten erhalten, wenn sie sich auf Verständlichkeit einlassen.
  • dass es im angelsächsischen Sprachraum viel üblicher ist, dass Wissenschaftler*innen verständlich schreiben – und niemand hält sie deshalb für „unterkomplex“.
  • dass die Medien sich an dieselben Verständlichkeitsregeln halten und das somit für Leser*innen eine vertraute Art der Kommunikation ist.
  • dass Verständlichkeit dazu beiträgt, dass ihr Publikum sie wahrnimmt und ihre Anliegen/Themen versteht.
  • dass auch Suchmaschinen Texte danach bewerten und ranken, wie verständlich sie sind.
  • dass die Lesekompetenz in Deutschland geringer ausgebildet ist, als viele annehmen.

Ist Verständlichkeit ein Trend?

Viele Besucherinnen unseres Stammtisches haben von ähnlichen Kämpfen um Verständlichkeit in ihren Jobs berichtet, die sie immer dann auszufechten haben, wenn sie Texte mit Wissenschaftler*innen abstimmen. Interessant fand ich, dass anscheinend jüngere Forscher*innen offener dafür sind, ihre Arbeit verständlich zu kommunizieren. Ich deute das als Zeichen für ein gewandeltes Selbstverständnis in der jüngeren Wissenschaftsgeneration: runter vom Elfenbeinturm, mitten in die Gesellschaft. Zukünftig werde ich auch das in meinen Argumentationskatalog aufnehmen.