Publikumsbeteiligung – aber wie?
Ob im Livetalk oder Newsletter, im Magazin oder bei der Konferenz: Die Zeiten, in denen sich das Publikum nur auf den Konsum von Inhalten beschränken ließ, sind vorbei. Dialog statt Monolog, Interaktion und Mitbestimmung bei der Gestaltung – die klassische Rollenverteilung zwischen Organisator und Publikum löst sich auf. Dadurch sind neue, spannende Formate entstanden – einige stellen wir vor.
Zugegeben: Als sich das Publikum in einen Saal gesetzt und einem Panel kluger Menschen aufmerksam zugehört hat, war das Kommunikationsgeschäft vielleicht einfacher: Weniger aufwändige Vorbereitungen, ein paar gesteuerte Nachfragen, ab und an einen Leserbrief beantworten. Nicht zuletzt durch die Entwicklung von Social Media und Online-Journalismus haben sich Rolle und Erwartungen des Publikums und von Mediennutzenden heute aber deutlich verändert. Die Konsumenten von Inhalten sind zu sogenannten „Prosumenten“ geworden, die sich aktiv in die Entwicklung und Darstellung von Inhalten einmischen wollen. Oder wie es Autor und Digital-Experte Sascha Lobo jüngst formulierte: „Im Zeitalter des Online-Journalismus befindet sich immer jemand im Publikum, der sehr viel besser Bescheid weiß als der Journalist selbst und als die ‚Fact Checker‘ im eigenen Haus.“ Lobo selbst macht diese Erfahrung regelmäßig, wenn er in seinem eigenen „Debatten-Podcast“ Kommentare seiner Spiegel-online-Kolumne diskutiert.
Redaktionen setzen auf Audience-Engagement
Insbesondere Redaktionen erhoffen sich von der Beteiligung ihres Publikums mehr Reichweite und Interaktion, aber auch bessere Rechercheergebnisse und Inspiration für die Gestaltung von Beiträgen, die ihre Zielgruppen ansprechen. Die Süddeutsche Zeitung hat mit dem „Lesesalon“ ein interessantes Experiment zum sogenannten Audience-Engagement gestartet: 100 Leserinnen und Leser haben dasselbe Buch gelesen und besprochen. Aus dem kollaborativen Prozess ist eine gemeinsame Gesamtrezension entstanden, die in der Zeitung erschien.
Die journalistische Genossenschaft der „Krautreporter“ sammelt unter anderem Themen bei der Leserschaft ein, die die Reporterinnen und Reporter anschließend recherchieren und aufschreiben. Input und Ergänzungen der Community sind erwünscht und erweitern das Spektrum der Artikel. Die Nutzerinnen und Nutzer werden hier ebenso wie bei einigen anderen Medien schon in den Produktionsprozess einbezogen.
Ähnlich wichtig nimmt auch der Podcast „Lage der Nation“ die Kommentare zur jeweiligen Episode, die häufig als sinnvolle Erweiterung, manchmal auch als Korrekturen der einzelnen Beiträge den Podcast bereichern.
Der Journalist Andreas Weck, Redakteur für den Bereich Karriere im Magazin t3n, sammelt regelmäßig per Twitter Erfahrungen seiner Follower ein und bildet sie in seinen Beiträgen ab.
Derartige journalistische Formate und Herangehensweisen eignen sich durchaus als Best-Practise-Beispiele für die Content-Erstellung in Unternehmen, Hochschulen und Co.
Es gibt aber auch Kritik an der Publikumsbeteiligung, vor allem, wenn sie eher klassisch einfallslos und als Pflichtübung vorgenommen wird: Teresa Buecker, ehemalige Chefredakteurin des Online-Magazins Edition F, rät zum Beispiel in ihrem Text über gute Moderation von Podiumsdiskussionen davon ab, erst nach der Gesprächsrunde Fragen aus dem Publikum zu erfragen und beantworten zu lassen. Stattdessen sei es sinnvoller, sich gleich zu Beginn der Veranstaltung einen Eindruck vom Publikum zu verschaffen, um besser auf die Menschen eingehen zu können. Dafür könne die Moderation Fragen stellen und diese per Handzeichen beantworten lassen. Das erhöhe die Aufmerksamkeit und binde die Gäste in das Gespräch ein.
Live-Umfragen erzeugen Spannung
Aber auch während einer Veranstaltung kann es gelingen, das Publikum zu beteiligen. So bieten beispielsweise Live-Umfragen Abwechslung und Interaktion zugleich. Tools wie Poll Everywhere, Mentimeter und andere helfen dabei. Im Beitrag Aktiv mitmachen toppt stummes Zuhören haben wir Poll Everywhere getestet.
Nicht nur Meinungen des Publikums lassen sich durch digitale Helfer ermitteln. Veranstalter*innen können Fragen direkt einspielen und dabei gleichzeitig auch noch ranken lassen: Moderator Jöran Muuß-Merholz entwickelt so mit einer Anwendung von Poll Everywhere live den gesamten Gesprächsverlauf seines Interviews mit der KI-Expertin Stefania Druga im Körber-Forum.
Im Folgenden noch ein paar weitere Beispiele aus der Praxis. An einigen waren wir beteiligt, andere finden wir vorbildlich gelungen gut. In jedem Fall gilt: Nachahmer willkommen – und immer an die eigene Community denken!
Unsere Beispiele
stART camp Hamburg: Eine Keynote, ansonsten spontane (oder angekündigte) Sessions der Gäste, die hier Teilgebende heißen: Das stARTcamp Hamburg setzt als Barcamp auf Kompetenz und Erfahrung des Publikums. Dieses entscheidet selbst, welche der spontanen Sessions es in das Programm schaffen. In diesem Jahr geht es am 6. September unter dem Titel „No limits?! Wissenschaft und Kultur für alle“ darum, wie Inhalte aus Wissenschaft und Kultur einem möglichst breiten Publikum zur Verfügung gestellt und digital vermittelt werden können. Zur Einstimmung auf das Format Barcamp verlinkt das stARTcamp auf ein Video.
Deutschland spricht: Beim „Festival der Meinungsverschiedenheit“ hat die Wochenzeitung „Die Zeit“ mehr als 8.000 Deutsche zum Blind Date verabredet. Je zwei Menschen mit grundverschiedenen Ansichten diskutierten bei „Deutschland spricht“ über Politik und Gesellschaft. Die Gesprächsinhalte wurden auf ZEIT-online veröffentlicht, Experten blieben außen vor.
Pointing Science: Während der Veranstaltungsreihe „Pointing Science“ der Körber-Stiftung entscheidet das Publikum per Laserpointer, wer zu Wort kommt: einer der anwesenden Expertinnen und Experten, ein Redner aus dem Publikum oder ein Interviewgast im Videoclip.
Europabattle: Die ZEIT-Stiftung hat während des diesjährigen EuropaCamps, für das Mann beißt Hund die Kommunikation übernommen hatte, einen Europa-Battle zwischen Yanis Varoufakis (Bewegung Demokratie in Europa 2025) und Sven Giegold (Grüne) veranstaltet. Die Kontrahenten im Europa-Wahlkampf stellten sich den Fragen einer Jury, das Publikum stimmte vor Ort über den Sieger ab.
Hamburger Horizonte: Das klassische Konferenzformat durchbrechen die Hamburger Horizonte mit den sogenannten Lunchgesprächen. Während des Mittagessens stehen die Referenten für individuelle Gespräche am Stehtisch zur Verfügung. Die legere Gesprächssituation soll den Austausch von Wissenschaft und Gesellschaft fördern. Mann beißt Hund unterstützt mit Öffentlichkeitsarbeit.
Sommer des Wissens: Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Hamburger Universität haben Hochschulen und Forschungseinrichtungen der Stadt den Rathausmarkt zum Campus gemacht und gemeinsam mit dem Publikum geforscht – zum Klimawandel, zur Stadt der Zukunft, zu Krankheitserregern. www.sommerdeswissens.de
Livetalk: Eine Veranstaltung ganz ohne Veranstaltungsort ist der Livetalk via Facebook. Je nach Thema und Reichweite lässt sich eine große Anzahl Zuschauender aktivieren, die live Fragen stellen. Hohe Interaktionsrate, wenn der Talk gut moderiert ist. Mann beißt Hund organisiert zum Beispiel regelmäßig einen solchen Livetalk für die Nachhilfeinstitution Studienkreis.
Thalia-Theater: Mit der Idee, das Publikum über den Spielplan mitbestimmen zu lassen, ist das Hamburger Thalia-Theater grandios gescheitert. Darstellende und Regisseurin konnten sich mit dem ausgewählten Stück nicht identifizieren, am Ende fand auch das Publikum „Die Ehe des Herrn Mississippi“ angestaubt und langweilig.
Weitere Informationen:
- Inwiefern die Publikumsbeteiligung auch das Selbstverständnis von Journalist*innen verändert, hat Nicola Wessinghage in ihrem Blog aufgeschrieben.
- Das Hamburger Hans-Bredow-Institut hat zur Publikumsbeteiligung eine Forschungsarbeit durchgeführt.
Dieser Text entstammt unserem Newsletter „Wuff-Sendung“, in dem wir etwa sechs Mal im Jahr über Trends in der Kommunikation berichten, Tools vorstellen und Tipps geben. Wer keine Ausgabe verpassen möchte, registriert sich hier.